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05.12.2023 Oberösterreich

Ta­gung „Alt.Gewalt.Was tun?!

Am 7. November 2023 fand in Linz die Tagung „Alt.Gewalt.Was tun?!“ statt.

Die vom Büro für Sozialtechnologie und Evaluationsforschung organisierte Veranstaltung versammelte an der FH Oberösterreich hochkarätige Referent:innen und Diskussionspartner:innen und war mit über 300 Personen sehr gut besucht. Univ. Prof. Dr. Josef Hörl begrüßte die Zuhörer:innen und erwähnte positiv die große Resonanz auf die Einladung. Ergänzend dazu betonte er, dass die erste Untersuchung zum Thema Gewalt an älteren Personen im Jahr 1975 stattfand. Seither wurde viel geforscht und Informationen wurden gesammelt. Es gibt Fortschritte im Thema in Hinblick auf Information und Aufklärung. „Der Bewusstseinswandel ist eingetroffen und die Aufklärung trägt ihre Früchte“, so Hörl. Dennoch ist das Thema immer noch in der gesellschaftlichen Tabuzone und über den tatsächlichen Ausbreitungsgrad von Gewalt an älteren Personen in Familien ist beispielsweise noch wenig bekannt. Derzeit geht man davon aus, dass jeder 6. Mensch über 60 Jahren weltweit gesehen einmal im Jahr von Gewalt betroffen ist. Besonders hob Hörl die subtile Altersfeindlichkeit in unserer Gesamtgesellschaft hervor, sich sehr oft ausdrückend in Form von Verspottung oder offener Diskriminierung Älterer.

 

In der Angst bestehen
Als erster Referent der Tagung widmete sich Dr. Paul Zulehner der spannenden Frage, warum Gewalt an älteren Menschen überhaupt passiert. Warum greift einer in einer bestimmten Situation zur Gewalt und der andere nicht? Seiner Grundannahme zufolge ist die Angst die Hauptquelle für Gewalt. In seinen Ausführungen bezog er sich viel auf die Schweizer Theologin, Psychotherapeutin und Sterbeforscherin Monika Renz und ihre Theorie der Urangst. Die Folgen der Angst sind vielfältig: Sie macht böse, unfrei und verführbar, sie entsolidarisiert, schärft die Kultur der Rivalität, sie dämpft die Fähigkeit zur Empathie und sie schädigt den Weg zur Menschwerdung. „Das Lebenskunstwerk ist es, in der Angst zu bestehen“, folgerte Zulehner und sieht die Lösung im verbunden sein mit dem Urvertrauen. Nach Monika Renz liegt dieses tiefer als die Urangst. In der Angst können wir bestehen, indem wir auf persönlicher, politischer und struktureller Ebene aktiv werden. Konkret empfiehlt Zulehner die Arbeit an sich selbst und am eigenen Selbstvertrauen und sieht Lösungsansätze in Form von Ausbildung und Supervision.

 

Alt, offline, exkludiert?
Dr. in Vera Gallistl referierte im zweiten Vortrag über die Ergebnisse ihrer Forschung auf dem Gebiet digitaler Exklusion im Alter. Ein Aspekt der Gewalt ist die Diskriminierung durch Bilder, die Ältere abwerten und sie als „Offliner“ oder „Dinosaurier“ darstellen. Während seit 2002 der digitale Spalt in der Nutzung des Internets von Jungen und Alten zunehmend kleiner geworden ist, so gibt es derzeit immer noch einen Spalt von 20 Prozent zwischen den 16/24- und 64/74-Jährigen. Über 74 Jahren gibt es zurzeit mehr Nicht-User als User. Diskriminierung erfolgt dabei in drei Bereichen: digitaler Ageismus, data Ageismus und digitale Exklusion. Beispiele dafür sind, dass die Sprach- oder Gesichtserkennung bei älteren Personen oft nicht funktioniert, dass trockene und alte Haut Probleme beim Bedienen des Handys machen, dass man durch das alleinige Angebot von Dienstleistungen über das Internet Menschen von deren Nutzung ausschließt – Stichwort Zugtickets oder Rabatt über Apps.

„Es geht nicht um online um jeden Preis, sondern um digitale Kompetenz“, so resümierte Dr.in Gallistl in ihrem Vortrag. Wichtig ist, dass Orte geschaffen werden, wo Ältere sich digitale Kompetenzen niederschwellig aneignen können und dass sie nicht nur von Familienangehörigen oder von Freunden abhängig sind.

 

Auch Rettung kann Gewalt sein

Dr. Gerald Gatterer war es in seinem Vortrag über „Gewalt von und gegen alte Menschen“ vor allem wichtig dem Publikum näher zu bringen, dass Gewalt in der Pflege in unterschiedlichsten Formen auftritt und das es dabei nicht nur um Gewalt in Form von Misshandlung, Vernachlässigung oder Freiheitsentzug geht. Während eine Handlung für die/den eine/n zum Beispiel einen Akt der Dienstleistung darstellt und ein Muss, kann für die/den andere/n genau dieser Akt aber als Gewalt empfunden werden. Ein Beispiel dafür: Während für die Pflegekraft mangelnde Hygiene Gewalt darstellt oder extern als Vernachlässigung gedeutet werden kann, ist für die/den zu Pflegende/n, die/der zwei Mal in der Woche geduscht wird, dieser Vorgang schon ein Gewaltakt, wenn sie/er das nicht möchte. Wichtig ist immer im Auge zu behalten, was die zu pflegende Person möchte. Auch den Aspekt, dass vonseiten der zu Pflegenden Druck und Gewalt ausgeübt werden kann, ließ er nicht außen vor.

 

Die Arbeit in der Gewaltambulanz

Univ. Prof. in Sarah Heinze berichtete im letzten Vortrag über die Pionierarbeit, die sie an der ersten Gewaltambulanz Österreichs in Graz leistet. Eigentlich ist es eine klinisch-forensische Ambulanz, an die sich Personen, die Gewalt erlitten haben, kostenfrei wenden können. Entweder kommen die Personen in die Ambulanz, die Gerichtsmediziner werden aber auch von Spitalsambulanzen oder Polizei zugezogen oder sie suchen die Person nach einem Gewaltakt direkt auf. Dr.in Heinze erklärte sehr anschaulich, wie umfangreich und aufwendig die Dokumentation von Verletzungen ist, damit diese später auch vor Gericht verwertet werden können. Es wird fotografiert, es werden Abstriche gemacht, Tathergänge anhand von Spuren rekonstruiert, Flüssigkeiten analysiert, es wird gemessen und Dokumentationsbögen werden ausgefüllt. Der Faktor Zeit spielt grundsätzlich, aber vor allem bei Sexualdelikten eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit dem Publikum ging sie an dem Nachmittag Folien mit Fotos von Personen durch, die Opfer von Gewalt im Rahmen der Pflege wurden. Bilder, die man nicht alltäglich sieht und die einen sprachlos zurückließen. Erwähnenswert ist noch vor dem Hintergrund, dass Österreich flächendeckend mit Gewaltambulanzen versorgt werden soll, der drastische Mangel an Gerichtsmedizinern.

 

 

 

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