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30.06.2022 Oberösterreich

Wär­me­däm­mung als Son­der­müll?

Wärmedämmung

Nachlese zum Salongespräch am 27. April 2022 in Linz

Zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors genügt es nicht, die Wärme- und Stromversorgung auf hundert Prozent Erneuerbare Energie umzustellen. Als erster Schritt soll versucht werden, den Heizwärmebedarf eines Gebäudes deutlich zu reduzieren. Dies kann durch eine gut gedämmte Gebäudehülle erreicht werden. Ein beliebter Dämmstoff, weil relativ einfach zu verarbeiten und billig, ist Extrudiertes Polystyrol (EPS). Um bis zum Jahr 2040 die Klimaneutralität erreichen zu können, sind nicht nur die CO2-Emissionen aus der betrieblichen Energieversorgung (Wärme und Strom) zu berücksichtigen, sondern auch die Grauen Emissionen der Gebäudekonstruktion von der Errichtung über die Instandsetzungen bis hin zum End-of-Life Szenario.

 

Aber was passiert mit dem Dämmmaterial, wenn das Gebäude sein Lebensende erreicht hat und rückgebaut wird? Bestenfalls kann ein gesamtes Bauteil in einem anderen Gebäude wiederverwendet werden. Werden Bauteile sortenrein nach Baustoffen zerlegt und sortiert, können daraus wieder neue Baumaterialien hergestellt werden. Ein Worst-Case tritt ein, wenn Baustoffe am Nutzungsende auf der Deponie landen. Im Falle von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) an Fassaden, bei denen Dämmstoffe untrennbar mit mehreren Putzschichten, Glasfasernetzen und Dübeln zu einem Verbundstoff verarbeitet werden, stellt dies in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine große Herausforderung dar. Forschungsinstitute untersuchen daher Prozesse, wie die einzelnen Bauteilschichten mechanisch und chemisch wieder getrennt werden können, um sie zu neuen Baustoffen weiter zu verarbeiten.

 

Einige dieser Ansätze sind bereits in der Phase der praktischen Anwendung angelangt, die dabei anfallenden Aufwände und Kosten sind in Relation zur Herstellung jedoch noch sehr hoch. Diese Sonderbehandlung des Wärmedämmverbundsystems betrifft alle derart verwendeten Dämmstoffe. Einen Sonderfall stellt EPS dar, wenn es vor dem Jahr 2015 verarbeitet wurde. Solches beinhaltet nämlich das umweltschädliche Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD), welches aus dem Recyclingmaterial ausgeschleust und speziell thermisch verwertet werden muss.

Bei der thermischen Optimierung von Gebäudehüllen ist schon zu Beginn der Planung zu überlegen, welche Art und Menge an Dämmstoffen in welcher Form eingesetzt werden. Als positives Beispiel seien hinterlüftete Dämmfassaden erwähnt, die zwar in der Errichtung aufwändig sind, deren verwendete Materialien im Rückbau aber relativ einfach trennbar und somit wiederverwendbar sind. Diese Art der Gebäudedämmung vermeidet Sondermüll, nachträgliche Kosten und reduziert CO2-Emissionen, noch bevor sie überhaupt entstehen können.

 

Ein Gebäude soll über die Errichtung hinaus bis zu seinem Nutzungsende geplant werden, in seiner Konstruktion über den gesamten Lebenszyklus nach Kosten und Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Die Bauwirtschaft steht vor einem großen Wandel, weg von linearen, hin zu geschlossenen Prozessen, hin zur Kreislaufwirtschaft. Sie ist der Schlüssel zur Dekarbonisierung des Gebäudesektors.

 

Autor: DI Wolfgang StumpfWissenschaftlicher Mitarbeiter an der Donau-Universität Krems, Lehrgangsleiter “Mehrgeschoßiger Holzhybridbau”, zudem Forschung und Planung von klimagerechten Gebäuden

 

Hinweis

Das Salongespräch mit DI Wolfgang Stumpf kann man nachhören unter https://cba.fro.at/563716

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Redaktion Generation plus [email protected]
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